WIR ALLE. DAS DORF.
Regie: Antonia Traulsen, Claire Roggan Deutschland 2021 | 90 Min. | Dt., Farsi mit dt. UT
Mitten im Wendland – einem der strukturschwächsten Gebiete Deutschlands – gründen Menschen ein Dorf. Ein Modelldorf für die Zukunft Europas soll es werden für hundert Alte, hundert Geflüchtete und hundert junge Menschen. Dieses riesige Sozialexperiment ist schon jetzt ein gesellschaftlicher Mikrokosmos. Wie unter einem Brennglas werden intensiv Themen diskutiert und Lösungen für Probleme gesucht, die uns alle betreffen: die Integration geflüchteter Menschen, eine alternde Gesellschaft, soziale Isolation und die Schwierigkeiten von Behinderten, Alten oder alleinerziehenden Menschen und die Perspektivlosigkeit junger Menschen in der Provinz.
Es ist ein Mammutprojekt, ein bürokratischer Hindernisparcours, ein idealisiertes Utopia – getragen und ersponnen von ganz besonderen Protagonist·innen. Das Dorf kann ein Prototyp für europäisches Leben auf dem Land werden, es kann aber auch als ökologische Senioren-Siedlung enden. Alles ist möglich.
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Regiekommentar
Wir leben in einem nie dagewesenen Wohlstand, von dem längst nicht alle in unserer Gesellschaft profitieren und der auf einem System beruht, das weder nachhaltig noch zukunftsfähig ist. Diejenigen, denen es gut geht, sehen keinen drängenden Grund für Veränderung, den weniger Privilegierten fehlt es an Ressourcen, um Strukturen zu verbessern.
Unsere Hauptfiguren sind nicht alle gleichermaßen privilegiert, aber sie haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen unsere Gesellschaft durch ihre Dorfgründung gerechter, nachhaltiger und zukunftsfähiger gestalten. Sie sprechen von einem „Stück gelebter Utopie“, von einer „Spielwiese der Vielfalt“, die dieses Dorf werden soll. (Formulierungen, die es nicht in den Film geschafft haben, die uns aber für immer in den Ohren bleiben werden). Ihr Mut, ihre Energie und ihre unverrückbare Überzeugung haben uns von Beginn an beeindruckt. Mit großer Offenheit und Reflexion sprechen sie auch über die eigene Intoleranz, über Angst und Überforderung. Wir waren dabei, wenn sie sich in kleinsten Detailfragen, Missverständnissen oder Ansichtssachen verhakten – und oft froh, die Probleme nicht selbst lösen zu müssen. Vorerst. Im Schnitt wurden ihre Probleme zu unseren, und wir mussten uns fragen: Wie erzählt man Verzögerungen und Umwege, die zum Leben gehören? Die aber zu weit weg führen vom Thema oder schwer abzubilden sind?
Durch das Dorf und den Film haben wir begriffen, dass nicht immer der direkteste Weg der erfolgreiche ist und dass in einem Gemeinschaftsprojekt viele Menschen viel Zeit und Energie aufbringen müssen, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Unser Film ist jetzt fertig. Im Dorf wird sich erst noch zeigen, ob die Ideen von Gerechtigkeit und Solidarität auch im täglichen Miteinander realisierbar sind. Und selbst wenn nicht, so haben doch alle etwas fürs Leben gelernt. Und damit schon einiges verändert.
Regie-Biographie
Antonia Traulsen
Sie studierte Germanistik, Geschichte und Kulturwissenschaft in Hamburg und Berlin. Seit Anfang 2014 realisiert sie als freie Producerin und Regisseurin Dokumentar- und Imagefilme. 2017 zog sie mit ihrem Mann und Kind auf einen Bauernhof im Wendland.
Filmografie
Claire Roggan
Geboren 1985 in Hamburg. Sie hat Kulturwissenschaft und Geschichte in Berlin und Barcelona studiert. Seit 2013 arbeitet sie als freie Filmemacherin in Berlin. Sie ist Gewinnerin des Gerd-Ruge-Stipendiums und leitet die Dokumentarfilm-Sektion des Wendland Shorts Kurzfilmfestivals.