27 STOREYS
Regie: Bianca Gleissinger
| Österreich, Deutschland 2023 | 90 Min. | Keine FSK-Prüfung. Folglich freigegeben ab 18 Jahren.
Es ist kein Hochhaus. Es ist eine Dorfgemeinschaft mitten in der Stadt. Der in den 1970erJahren erbaute Wiener Wohnpark Alterlaa ist weltberühmt. Schaut man an ihm hinauf, wölbt er sich gen Himmel. Kurz vor dem Himmel jedoch, auf dem Dach also, erstrecken sich RooftopPools und Sonnenterrassen. Inmitten der massiven Betonblöcke thront ein Park, größer als der Wiener Stadtpark. Grün, ruhig und sonnig. Integrierte Einkaufspassage, Tennisplätze, Volksschule: „Wohnen wie die Reichen für alle“ lautete das einstige Glücksversprechen des Architekten mit dem vielsagenden Namen Harry Glück. Laut einer aktuellen Studie seien 98 Prozent der Bewohner*innen Alterlaas‘ heute hier „glücklich“. Das klingt vielversprechend. Die Regisseurin Bianca Gleissinger begibt sich über 5 Jahre hinweg, auf humorvolle Art, vor und hinter der Kamera in ihrer fremd-gewordenen Heimat, die sie nach der Trennung ihrer Eltern verlassen musste, auf eine Suche: nach den jetzigen Bewohner*innen, deren Lebensentwürfen und ihrem Alltag. Was ist von dem Ort ihrer Kindheit, ihrem verlorenen Paradies, übriggeblieben? Ihre Suche führt sie zum Bürgermeister Alterlaas`, der seit 30 Jahren wiedergewählt wird, oder zu einem, dem Schlagersänger Freddy Quinn gewidmeten, Museum. Hinter den Türen der 30 Clubräume im Keller trifft sie die alten Bastler vom Modellbauklub, oder begegnet Pensionist*innen im Bridge-Verein bei knallharten Turnieren. Sie stattet dem Foto- und Videoklub einen Besuch ab, und sinniert mit dem „Senat von Alterlaa“ bei einem Weißburgunder über die Frage, was es heißt an einem Ort zuhause zu sein. Die Zeit scheint stehen geblieben, zwischen Vereinsfotos, Pokalschränken, Zimmerpflanzen, Tapeten und Sofalandschaften. Die Jugend tummelt sich eher auf den Dächern bei den Pools und der umtriebige, Technik-affine Stephan zeigt mit „Urban Gardening Projekt“ und 3D-Drucker allen, dass Alterlaa am Zahn der Zeit bleiben kann. Mit einer Mischung aus Home-Videomaterial und gewaltigen Tableaux-haften Filmaufnahmen, fängt der Film dieses architektonische Bauwerk und sein skurriles Biotop darin wundersam ein. Er zeigt, wie es sich anfühlt, noch heute in der einstigen Utopie der 70er-Jahre zu leben. So erzählt der Film auch von Idealen dieser Generation inmitten eines kapitalistischen Systems „besser“ zu leben. Eine filmische Reise in eine obskure, und vermeintlich kleinbürgerliche Welt, die mit ihren Erstbewohner*innen gealtert zu sein scheint, sich aber mit den Jüngeren langsam neu erfindet: 27 STOREYS ist zugleich eine überaus lustige wie auch selbstironische Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln.
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Regiekommentar
Als es mich 2011 für mein Studium nach Berlin verschlug, sollte ich schnell feststellen, dass der Satz „Ich bin im sozialen Wohnbau aufgewachsen.“ etwas anderes über mich erzählen würde, als ich intendiert hatte. Während ich vom Aufwachsen an einem Ort des Wohlstandes, beinahe Luxus berichtete, verstand mein Gegenüber, dass ich mit allen Wassern gewaschen sei und einen sozialen Brennpunkt überlebt hatte. Ein wiederkehrendes Missverständnis, das mich schließlich verleitete, den Blick noch einmal in meine Vergangenheit zu richten. 10 Jahre nach unserem Auszug, kehrte ich, mit der Intention den Ort meines Aufwachsens wiederzuentdecken, nach Alterlaa zurück. Was ich aber vorfinden sollte war ein Ort, der mir plötzlich fremd war. Alterlaa war nicht mehr „mein Zuhause“ und es gab auch keinen Ort, an den ich hätte zurückkehren können. Bekannte und Freund*innen, die damals unsere Nachbar*innen waren und auch meine Familie – Alle Menschen, die den Ort damals zu meinem machten, hatten ihn irgendwann verlassen. Unsere alte Wohnung, in der mittlerweile eine neue Familie lebte, war nicht wiederzuerkennen. Ich war eine Fremde an einem mir fremden Ort. Doch was sich anfangs wie eine Herausforderung anfühlte, sollte sich schließlich als Chance für diesen Film und mein ganzes Leben entpuppen. Ich begegnete Menschen meiner Elterngeneration, die sich auf ganz frappante Art von meinen Eltern unterschieden: Sie waren nicht meine Eltern. Ich nahm an ihren Geschichten und Biografien teil und stieß auf ganz neue Art auf die Frage nach Toleranz – nämlich meiner eigenen. Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen getroffen hatten. Entscheidungen, die nicht zu dem passten, was ich für richtig hielt. Und diese Menschen waren damit auch noch glücklich. 27 STOREYS sollte ein Film über einen mir bekannten Ort werden, den eine Generation geprägt hat, die den Sinn des Genderns nicht versteht und sich zum Fasching weiterhin als „Indianer“ kleiden will. Es sollte ein Film-gewordener Streit an Familienweihnachten werden. Doch dieser Film scheiterte und ein Neuer entstand: 27 STOREYS erforscht einen neuen mir unbekannten Ort. Einen Ort, der sein Gegenüber zu Wort kommen lässt. Der Ort präsentierte sich mir erst als besonders und außergewöhnlich, als ich ihn von außen betrachten konnte. Die Beobachtungen der Bewohnerinnen zeigen einen Fächer an Lebensentwürfen in Alterlaa auf und erzählen von einstigen Idealen einer gelebten Utopie. Eine aktive Auseinandersetzung von meinem erzählerischen Zugang zu diesem Ort, sollte schließlich Teil der Erzählung werden. Die Figur Bianca war nie als solche angelegt, sie sollte als Reaktion auf einen lebendigen Prozess entstehen. So, wie die Generation meiner Eltern, sollte schließlich auch meine eigene Generation einen Körper bekommen, um den Fingerzeig, der mich ein Leben lang begleitet, umkehren zu können – auf mich selbst.
Regie-Biographie
Bianca Gleissinger
Geboren 1990 in Wien. Nach einem Bachelorstudium der Filmwissenschaft an der Universität Wien und der Freien Universität Berlin studierte sie an der Berliner Filmschule DFFB Filmproduktion. 27 STOREYS ist ihr Debüt als Regisseurin und Autorin sowie ihre Diplomarbeit an der DFFB.