Die Preisträger·innen 2020
Max Ophüls Preis: Bester Spielfilm
NEUBAU
Regie: Johannes Maria Schmit (Deutschland 2020)
Jurybegründung:
Es gibt Filme, die sind leise, aber sie wirken lange nach. Die weiten den Blick, einfach, indem sie einladen genau hinzuschauen. Sie kommen ohne Budenzauber aus, weil sie den Gegenstand ihrer Betrachtung ernst nehmen, ihm Würde verleihen. Solche Filme haben die Kraft Empathie zu erzeugen.
Wir lernen eine Figur kennen, in der sich verschiedene Welten überlagern – hinreißend verkörpert von Tucké Royale, der das magnetische Zentrum des Films ist. Wir glauben ihm alles – den gierigen gay sex, die brandenburger Dorfkindheit, die Sehnsucht nach der queeren Wahlfamilie in Berlin. Und wir könnten ihm stundenlang zuschauen.
Die Zärtlichkeit liegt im Detail – der Kleinwagen mit dem Stonewall-Schriftzug, die Nietenjacke mit dem Aufdruck „Mutant Hero", der Gleitgelfleck auf dem Bettlaken.
Die durchweg wunderbar besetzten und inszenierten Nebenfiguren dürfen atmen – in Szenen, die das Geschehen auf der Leinwand nicht für eine Dramaturgie funktionalisieren, sondern Bedeutungsüberschuss zulassen. Existenzielles, Banales und Pragmatisches versammelt sich beim Holunderblütenzupfen. Das ist sie, die neue Selbstverständlichkeit. Mehr davon!
Jury: Susanne Heinrich, Heike Parplies, Franziska Weisz, Jonas Weydemann
Max Ophüls Preis: Beste Regie (Filmpreis des Saarländischen Ministerpräsidenten)
WAREN EINMAL REVOLUZZER
Regie: Johanna Moder (Österreich 2019)
Jurybegründung:
Ein hochkarätiges Ensemble kann Fluch und Segen sein für eine junge Regisseurin. Schön, es zu haben, aber man muss seiner auch Herr werden. Die von uns ausgewählte Regisseurin hat uns nicht nur durch ihr hochintelligentes und relevantes Drehbuch überzeugt, sondern dieses auch mit ihrer unverwechselbaren Handschrift virtuos zum Leben erweckt. Mit entwaffnendem Humor, zärtlich und schonungslos führt sie uns vor Augen, wie unsere Gesellschaft Wohltätigkeit predigt, ohne aber die eigene Komfortzone zu verlassen. Wir fühlen uns ertappt, denn wir helfen alle gerne, aber bitte nicht im eigenen Wohnzimmer. Die Soziologie hat sogar einen Namen für dieses Phänomen: NIMBYs (Not in my backyard)
Da hilft nur eins: Verdrängen, verdrängen, verdrängen.
Jury: Susanne Heinrich, Heike Parplies, Franziska Weisz, Jonas Weydemann
Max Ophüls Preis für den gesellschaftlich relevanten Film
Tucké Royale für Buch und Schauspiel im Film NEUBAU
Regie: Johannes Maria Schmit (Deutschland 2020)
Jurybegründung:
Ein Transmann in der Uckermark träumt von einer Wahlfamilie in Berlin, während seine demente Großmutter langsam stirbt. Das, was man als hermetischen Film über ein Nischenthema hätte inszenieren können, wird ein barrierefreies Fenster in eine ambivalente Welt voll hybrider Identitäten und brüchiger Lebensrealitäten.
„Wenn ich sterbe ... sagst du's mir?" fragt die Großmutter, die regelmäßig im Wald wieder eingesammelt werden muss, ihre Lebensgefährtin. Ein Auto-Konvoi von queeren Zauberwesen zieht wie eine Fata Morgana über die Landstraßen. Ein Mann masturbiert im Sonnenuntergang an einen Heuballen gelehnt. Das Kunststück: Es ist kein Kitsch. Kein Themenfilm nämlich, sondern einer, der sagt: So ist das Leben. Sehnsucht, Einsamkeit, Warten.
Wir wünschen diesem berührenden Film und seinen wichtigen Sujets eine breite öffentliche Aufmerksamkeit, die er mit Leichtigkeit und Tiefe tragen kann.
Jury: Susanne Heinrich, Heike Parplies, Franziska Weisz, Jonas Weydemann
MAX OPHÜLS PREIS: BESTER SCHAUSPIELNACHWUCHS
Maresi Riegner für IRGENDWANN IST AUCH MAL GUT (Regie: Arash T. Riahi)
Begründung:
Sie hat es geschafft, neben renommierten Hauptdarstellern die Aufmerksamkeit auf ihre Rolle zu ziehen und dem Film eine besondere Farbe zu geben. Wie sie im satirischen Kontext ihre Natürlichkeit bewahrt, macht uns neugierig darauf, sie auch in anderen Genres brillieren zu sehen.
Jury: Susanne Heinrich, Heike Parplies, Franziska Weisz, Jonas Weydemann
Max Ophüls Preis: Bester Schauspielnachwuchs
Mehdi Meskar für NUR EIN AUGENBLICK (Regie: Randa Chahoud)
Begründung:
Auch wenn er als verletzlicher Antiheld in diesem Film nicht seine ganze Bandbreite zeigen konnte, sehen wir in ihm das Versprechen auf interessante Facetten moderner Männlichkeit. Eine fromme Bitte: Verlass dich nicht auf deine Posterboyqualitäten, sondern suche die Ecken und Kanten in deinen Rollen. Wir wissen, dass du es kannst!
Jury: Susanne Heinrich, Heike Parplies, Franziska Weisz, Jonas Weydemann
Max Ophüls Preis: Preis der ökumenischen Jury
JIYAN
Regie: Süheyla Schwenk (Deutschland 2019)
Jurybegründung:
Ein eindringliches Kammerspiel, das durch das Zusammenwirken von Kamera und Szenenbild noch verstärkt wird. Sowohl der Umgang mit den Vorurteilen im System Familie als auch entwürdigende gesellschaftliche Realitäten werden vor Augen geführt. Gerade die Verweigerung unnötiger größerer dramatischer Bögen zugunsten des Fokus auf die alltäglichen Sorgen und Nöte im Privaten, bringt uns die Protagonistinnen und Protagonisten als Menschen nahe.
Klug geschrieben, erzählt der Film präzise das Leben einer jungen syrisch/kurdischen Familie bei ihren Verwandten in Deutschland.
Am Ende steht die Frage: Was ist ein Menschenleben wert?
Jury: Dr. Hermann Kocher, Théo Peporté, Birgit Persch-Klein, Marisa Winter
Max Ophüls Preis: Bestes Drehbuch (Fritz-Raff-Drehbuchpreis)
Iliana Estañol und Johanna Lietha für LOVECUT
Jurybegründung:
Das Drehbuch glaubt an die Jugend. An ihre Kraft aus sich selbst heraus, erwachsen zu werden.
Es ist ein genaues Drehbuch. Voller Humor. Es wurde geschrieben mit Sorgfalt für die szenische Stimmigkeit und mit Lust an der Recherche. Zauberhaft lebendig portraitiert es sechs Figuren, so unterschiedlich, so eigenständig, so eigensinnig. So liebenswert.
Jury: Oliver Hottong, Eva Katharina Klöcker, Elena von Saucken
Max Ophüls Preis: Preis der Jugendjury
NUR EIN AUGENBLICK
Regie: Randa Chahoud (Deutschland, Großbritannien 2019)
Jurybegründung:
„Fuck. Passiert das gerade wirklich?" - diese Frage haben wir uns gestellt.
Der Film betrifft uns – und hat uns deshalb betroffen gemacht. Bedrückt. Herzrasen verursacht.
Das anfangs so idyllische Leben nimmt für die Hauptfigur eine drastische Wendung, reißt sie aus ihrem Alltag und verändert sie für immer.
Eine packende Inszenierung und eine lebhafte Kameraführung, die eng am Protagonisten bleibt, nehmen uns an die Hand und lassen uns erschreckend nah am Geschehen teilhaben.
Es geht um Freiheit, Liebe und Heimat.
Um einen Menschen, der einiges zu verlieren hat – und alles riskiert.
Jury: Justus Almstedt, Anna Burgardt, Tom Kurzyca, Sasha-Thea Rukover, Francesco Sanfilippo
Max Ophüls Preis: Publikumspreis Spielfilm
EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH
Regie: Arash T. Riahi (Österreich 2020)
Max Ophüls Preis: Bester Dokumentarfilm
REGELN AM BAND, BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT
Regie: Yulia Lokshina (Deutschland 2020)
Jurybegründung:
Feinfühlig, vom ersten Moment an fesselnd und vielschichtig öffnet der Film den Blick für ein großes Problem unserer Gesellschaft.
Dabei lenkt er in einer dramaturgisch sich verdichtenden Erzählung unsere Aufmerksamkeit behutsam auf das, was niemand sehen will: Die beklagenswerte Zeitlosigkeit des kapitalistischen Ausbeutungssystems manifestiert sich auch mitten in unserer Gesellschaft. Ohne zu predigen setzt der Film auf Beobachtung, Empathie und intellektuelle Durchdringung der Thematik. Durch seine filmische Versuchsanordnung gelingt der Regisseurin ein ganz eigener Zugang, der das Publikum aufgewühlt zurücklässt. Der Preis der Dokumentarfilm-Jury für den besten Dokumentarfilm geht an „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ von Yulia Lokshina.
Jury: Sigrun Köhler, Damian Scholl, Joana Scrinzi
Max Ophüls Preis: Beste Musik in einem Dokumentarfilm
LOST IN FACE (Musik: Antimo Sorgente)
Regie: Valentin Riedl (Deutschland 2020)
Jurybegründung:
Durch ihre eigentümliche Poesie, rau und zugleich spielerisch, beeindruckt diese behutsam eingesetzte Musik. Die Vielseitigkeit der Protagonistin spiegelt sich in der Konzentration auf den Celloklang wider, der mal ungeschönt und nah am Ohr erklingt, mal zu einem reichen Klangteppich verwoben ist. Die Musik fügt sich in die Gestaltung des Filmes ein, indem sie mit Feingefühl, Eleganz und kluger Simplizität die Schönheit der Hauptfigur zum Klingen bringt ohne dabei zu überlagern oder zu behaupten.
Jury: Sigrun Köhler, Damian Scholl, Joana Scrinzi
Max Ophüls Preis: Publikumspreis Dokumentarfilm
LOST IN FACE
Regie: Valentin Riedl (Deutschland 2020)
Max Ophüls Preis: Bester Mittellanger Film
LYCHEN 92
Regie: Constanze Klaue (Deutschland 2020)
Jurybegründung:
Es gibt verschiedene Arten, das Schwimmen zu lernen. Man kann langsam herangeführt oder überraschend ins Wasser gestoßen werden. Letzteres kann dazu führen, dass man sich gar nicht mehr ins Wasser traut. Durch Kinderaugen erleben wir die Identitätskrise einer Familie nach dem Zusammenbruch der DDR und die dadurch entstehende Sehnsucht nach Zugehörigkeit - ohne Zeigefinger, humorvoll und tiefgründig. Der Film ruft nach einem Dialog auf Augenhöhe, um dabei gezielt Unterschiede zwischen Ost und West zu benennen, anstatt die Gleichmachung zu idealisieren. Nur durch die Aufarbeitung der Identitätskrise haben wir vielleicht eine Chance den rechten Bewegungen in Deutschland entgegen zu treten.
Jury: Neelesha Barthel, Jane Chirwa, David Armati Lechner
Max Ophüls Preis: Publikumspreis Mittellanger Film
MASEL TOV COKTAIL
Regie: Arkadij Kjhaet, Mickey Paatzsch (Deutschland 2020)
Max Ophüls Preis: Bester Kurzfilm
DAS BESTE ORCHESTER DER WELT
Regie: Henning Backhaus (Österreich 2020)
Jurybegründung:
Du bist ganz klein und dein Talent ist riesig. Man traut dir nichts zu, wenn man dich sieht. Weil du anders bist. Durch dich erfahren wir auf verspielte und originelle Art und Weise, bis ins letzte Detail durchkomponiert, von struktureller Diskriminierung. Wir sehen dich - kleine Socke mit zwei Augen.
Jury: Neelesha Barthel, Jane Chirwa, David Armati Lechner
Max Ophüls Preis: Publikumspreis Kurzfilm
TRADING HAPPINESS – TRAO ĐỔI HẠNH PHÚC
Regie: Duc Ngo Ngoc (Deutschland 2020)